Süchtelner in Danzig 1398

In dem Gebiet zwischen Weichsel und Memel, dem „Pruzzenlande“ erwuchs im Laufe der Jahrhunderte ein Volkstum, in dem die Blutlinien fast aller deutschen Stämme zusammengeflossen sind. Vom Rhein und von der Maas wie auch aus Niedersachsen, Schwaben und Bayern und nicht zuletzt aus den ( schon früher gewonnenen ) mittel- und norddeutschen Landesteilen zogen Bauern, Handwerker und Kaufleute unter dem Schutz deutscher Ritter nach Osten. Nicht zur Eroberung und zum Kampf waren sie gerufen worden, sondern zur Festigung und zum inneren Ausbau des bereits Geschaffenen. Sie sollten im neuen Raume wirken und ihn zur Blüte bringen sowie Zellen deutschen Lebens und Wesens bilden.

Das Gebiet des deutschen Ritterordens

Nachdem der deutsche Ritterorden die Preußenaufstände niedergerungen hatte, setzte nach zaghaften Anfängen um 1280 ein mächtiger Zustrom ein, der jahr- zehntelang andauerte. Hierüber berichtet der preußische Chronist Lucas David mit folgenden Worten: „Nachdem in Deutschen Landen allenthalben kund ward, daß Gott in Preußen gnedigen Frieden geben, seindt auch auf des Ordens Fordern und Zusage viel Leute aus deutschen Landen willig hereingekommen, und hat sich ein Jeder gesazt, da es Ime gelegen oder am besten behagte, als umb den Elbing und andere wässerige Orte die aus Sachsen, Holland, Jülich und anderen Ländern, der dann viel is Ermländische Bisthumb, als Frauenburg, Braunsberg, Mehlsack und Rössel, da dann die beiden Dörffer Santoppe und Heinrichsdorf mit Geldrischen und Jülischen reisigen Knechten seindt besetzt worden.“

 Leider ist dieser aufschlussreiche Bericht von Lucas David erst im 16. Jahrhundert niedergeschrieben worden, wird aber wohl auf einer zuverlässigen Ãœberlieferung beruhen. Immerhin geht aus ihm deutlich hervor, dass Untertanen aus den nieder- rheinischen Landesherrschaften Jülich und Geldern in Santoppe und Heinrichsdorf, beide bei Rössel gelegen, angesiedelt wurden. Zudem weißt die Namensform „Hinrikesdorp“, wie Heinrichsdorf einst geheißen ward, auf eine niederdeutsche Gründung hin. Es ist ferner kein Zufall, dass früher unweit von Rössel eine Ortschaft „Kellen“ ( Köln ) an einem Flüsschen mit dem Namen „Rhein“ lag. Im allgemeinen ist es allerdings schwierig, wenn nicht gar unmöglich, in den preußischen Landgemeinden die Herkunft der einzelnen bäuerlichen Siedler ausfindig zu machen, weil zumeist ausreichende Nachrichten fehlen, doch hilft hier die Mundart manchmal aus. So war
im Weichseldelta und auf der Frischen Nehrung lange der Ausdruck ‚vondag’ für ‚heute’ gebräuchlich und östlich einer Linie von Danzig nach Thorn sagte man, wie
am Niederrhein, durchweg ‚haue’ statt ‚mähen’.

Die Danziger Bucht in Westpreussen

Das bevorzugte Ziel der ostwärts strebenden Siedlerscharen war wegen seiner Lage an der Mündung eines der größten deutschen Ströme und an der Grenzscheide zwischen Kaschuben- und Preußenland schon frühzeitig die Stadt Danzig. Es ist ein besonders glücklicher Zufall, dass ihre Quellen bereits für das 14. und 15. Jahr- hundert, in denen die Stadt eine bedeutende räumliche Ausdehnung und eine große Zunahme ihrer Bevölkerung erlebte, in reicher Fülle erhalten blieben. Dabei ist die Kennzeichnung der Bewohner nach ihrem Herkunftsort außerordentlich wertvoll,
denn hierdurch wird, wenn vielleicht auch nicht bei den zeitweiligen Trägern, so doch sicher bei ihren Vorfahren die Geburts- und Heimatgemeinde bekannt.

 So wird Süchteln 1398 genannt, als ein „Hinrick van Zuchtelen“ in Danzig zuwanderte und sich dort als Bürger niederließ. Auf ihn bezieht sich ein Vermerk, nach dem 1410, als der Deutsche Orden in schweren Kämpfen mit den Polen stand, ein „Henrich von Suchten“ gemeinsam mit anderen geharnischte Mannen ausgerüstet habe. Dreimal verheiratet, nahm Henrich zuletzt Margareta, eine der vier Töchter des Bürger- meisters Konrad Letzkau, der 1411 im Ordensschlosse ermordet wurde und dessen Vater aus Holland soll vertrieben worden sein, zur Lebensgefährtin. Henrich von Suchten, der es offensichtlich in Danzig zu einem namhaften Wohlstand brachte, wurde der Stammvater der hochangesehenen Familie „von Suchten“. Ein Sohn aus seiner ersten Ehe war der Ratsherr Bartolt von Suchten, der als Zeuge in einer für Süchteln bedeutsamen Urkunde vom 7. Februar 1446 erwähnt wird. Darin bescheinigt die Stadt Danzig den Bürgermeistern, Räten, Richtern und Schöffen zu Süchteln, dass Katharina Bolemans, die Hausfrau des Danziger Bürgers Jurgen Yoythen, eine eheliche Tochter von Claus Bolemans aus Süchteln und seiner Frau Anna sei, wie nicht nur der Ratsherr Bartolt von Suchten, sondern auch der Bürger Coerdt Wicke und die Bürgerin Gertrud Colners, alle in Danzig wohnend, bekundet hätten. Mit diesem Zeugnis sollte der genannten Katharina Bolemans das Verfügungsrecht über ein ihr von dem verstorbenen Hermann tom Bokel zugefallenes Erbgut, einen in Süchteln gelegenen Hof, bestätigt werden, doch hatte sie inzwischen ihren Anspruch an Hinrich an den Horst abgetreten, der ihn wiederum seinem in Süchteln ansässigen Bruder Coerdt an den Horst übertrug.

 Da die Ostlandfahrer in der Regel junge, noch nicht verheiratete Männer waren, ist ohne weiteres anzunehmen, dass nicht Katharina Bolemans, sondern ihr Vater Claus nach Danzig ausgewandert ist. Diese Vermutung wird in der Tat bestätigt, denn 1423 erwarb Claus Bolemans das Danziger Bürgerecht. Ãœbrigens ist es nicht schwierig, sein Elternhaus zu ermitteln. Es gab zwar in der Süchtelner Gemarkung drei Bökelsgüter, aber ein Lagerbuch des Hauses Wachtendonk vom Jahre 1429 bietet für die engere Wahl einen willkommenen Anhalt. Darin wird nämlich der Bökelshof in der Honschaft Hagenbroich, der 1922 abgebrochen wurde, noch Bokelmansgut geheißen. Berücksichtigt man hierbei, dass im 15. Jahrhundert die Schreibweise der Familien- namen noch keineswegs gefestigt war, so darf man sicherlich die Form „Bolemans“ mit „Bokelmans“ gleichsetzen. Dass die beiden Zeugen Wicke und Colners ebenfalls aus Süchteln stammten, ist nicht von der Hand zu weisen, weil andernfalls ihre Aussage nur einen bedingten Wert gehabt hätte. Diese Annahme gewinnt dadurch
viel an Gewissheit, dass es in Süchteln zwei Gehöfte gab, das eine Wickgut genannt
( Hochstr. 27 und 29 ) und das andere, das Tilmansgut ( Hochstr. 40 ) gehörte noch 1586 einem Peter Kelners. Es waren mithin in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts drei Süchtelner in Danzig heimisch geworden: Bolemans, Wicke und Colners.

 Neben ihnen wuchs die Familie „von Suchten“ in ihrem Ansehen und Einfluss. Heinrich von Suchten, ein Sohn des oben erwähnten Ratsherrn Bartolt, wurde Bürgermeister in Danzig und starb 1501. Er hinterließ mehrere Kinder. Sein Sohn Christoph von Suchten wurde 1509 in einem Schreiben des Rates dem Papste Julius II. als Pfarrherr an St. Marien in Danzig empfohlen. Der jüngere Bruder Christophs, Heinrich von Suchten, war Ratsherr. Durch Heinrichs Heirat mit Anna, einer Tochter des reichen Bürgers Matz Pilemann und Enkelin des Ratsherrn Otto Angermünde, entspann sich ein weitgehender Parteienkampf, der sogar die päpstlichen Gerichte
in Rom beschäftigte.

 Der Mitbewerber Moritz Ferber, dessen Vater Eberhard gemeinsam mit seinem Bruder Gebel um 1423 aus Kalkar nach Danzig eingewandert war, behauptete nämlich, durch Annas Heirat benachteiligt zu sein, weil er von ihr ein Eheversprechen erhalten habe. Verbittert standen die Ferbers den Familien von Suchten und Angermünde gegenüber und da Roloff Feldstett, gebürtig aus Braunschweig, Katharina, eine Schwester der Anna Pilemann, zur Gattin nahm, wurde auch er in den Streit hineingezogen, der selbst dann nicht beendet war, als Moritz Ferber zum geistlichen Stande überging und Bischof von Ermland wurde. In Verbindung mit dem allmählich aufkommenden Protestantismus artete der Familienkampf 1525 in einen förmlichen Volkstumult aus, durch den ein Bürgermeister, 12 Ratsherren und
9 Schöffen ihrer Ämter enthoben und dafür andere ernannt wurden. Zu diesen gehörten Heinrichs Brüder, Cort von Suchten als Bürgermeister und Georg von Suchten als Schöffe. Die Gegenpartei wandte sich aber an König Sigismund, der
als der Stadt oberster Richter 1526 nach Danzig kam und mit dem Richterschwerte
die alte Ordnung wiederherstellte. Zu den hierbei Ausgeschiedenen gehörten Cort
und Georg von Suchten. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass Moritz Ferber, der
Bischof von Ermland, 1537 entschlief.

 Ein Sohn des Heinrich von Suchten und der Anna Pilemann war der 1571 gestorbene Danziger Ratsherr Matthis von Suchten. Ihr Enkel, ebenfalls Matthis genannt, war Schöffe und verschied 1598. Georg von Suchten hinterließ einen Sohn, den ehemals als Schriftsteller und Alchemist hoch angesehenen Dr. Alexander von Suchten ( 1520 -1590 ). Dieser veröffentlichte viele wissenschaftliche Texte, u.a.: „Chymische Schrifften“, „Liber unus de secretis antimonii oder von der grossen Heymligkeit des antimonij die Artzney belangent durch den edlen und hochgelehrten Herrn Alexander von Suchten“, „Particulare ex Arsenico, Nitro u. Tartarto, Aliud ex Mercurio, Sulphure“, „Explicatio Tincturae Physicorum Theophrasti Paracelsi“ und „De tribus Facultatibus“. Cort von Suchten hatte mehrere Kinder. Sein gleichnamiger Sohn wurde ebenfalls Ratsherr in Danzig und starb, wie sein Vetter Matthis, im Jahre 1574. Von zwei Brüdern des jüngeren Cort ist Heinrich, gestorben 1558 als Eltermann des Stahlhofes zu London, ein eifriger Verteidiger der hanseatischen Handelsrechte gewesen. Der andere Bruder, Jakob von Suchten, hatte einen Sohn namens Heinrich, der als Schöffe 1611 von hinnen ging. Mit ihm enden die Nachrichten über das stolze Geschlecht derer „von Suchten“ in Preußen.

 Vorfahren, die ebenfalls aus Süchteln stammten, hatten u.a. auch Johan und Mechtildis van Zuchtelen ( 1461 in Swalmen ), Dirck van Zuchtelen ( 1521 in Roermond ), der Bürgermeister von Deventer Dr. Gerrit van Suchtelen ( 1554 - 1636 ), Herman van Suchtelen ( 1717 - 1727 Gouverneur von Malakka ), der Architekt Jacob Henrik van Suchtelen ( 1722 - 1787 ), Gerard Gysbert Jan van Suchtelen ( 1745 Bürgermeister in Deventer ), der Botschafter des russischen Zaren am Hof in Stockholm Graf Johan Peter van Suchtelen ( 1751 - 1836 ), General Graf Paul van Suchtelen ( 1788 - 1833 ) sowie der Dichter Nicolaas ( Nico ) Johannes van Suchtelen
( 1878 - 1949 ) und der Gouverneur in Sumatra B.C.M van Suchtelen ( 1933 ).

Graf Johan Peter van Suchtelen
( Trifft als Piotr Sukhtelen in Leo Tolstojs „Krieg und Frieden“ auf Napoleon )

Zum Verständnis hier noch die unterschiedlichen Schreibweisen für „Süchteln“:
1116 Süchtelen, 1123 de Suphtele, 1136 in Suftele, 1143 Sufthele, 1152 Suthele,
1158 Suftele, 1159 Suchtele, 1220 de Suchtelin, 1226 in Suttele, 1240 Suchtelen,
1241 Suchteln, 1248 de Sutele, 1308 Sugtole, 1332 Sugtele, Sugchele, 1405
Zuchtelen, 1607 Xuchtelen - Später überwiegend: Suchtelen, Suchteln, Süchtelen.
Der älteste uns überlieferte Namen für Süchteln lautet „Zuhlta“ und in der Volkssprache sind weitere Namen bekannt: Seutlen, Sütlen, Söitelen und Söetele.

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