Schnellläufer in Süchteln

In früheren Zeiten gab es die verschiedensten originellen Typen, die regelmäßig nach Süchteln kamen, um der hiesigen Bevölkerung ihre Künste vorzuführen und stets willkommene Gäste waren. Besonders beliebt waren die Schnellläufer und vor allem die Jugend von damals war geradezu alarmiert, wenn es hieß: „Morge kömmt enne Schnellöper no Sötele.“ Die Schnellläufer der damaligen Zeit waren meist schlanke, dürre Gestalten. Diese Leute zählten sich zu den Artisten, in Wirklichkeit waren es arme fahrende Gaukler, die als Berufsartisten nirgends hatten festen Fuß fassen können und so zogen sie von Ort zu Ort, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Schnellläufer von ehedem trugen Schnallenschuhe, vereinzelt auch hochgeschnürte Schuhe, ein buntfarbiges Trikot, einen breiten Ledergurt mit hellklingenden Schellen um die Hüften, eine Kasperle-Schellenmütze, sowie in der Hand eine kurze Peitsche. Kam ein solcher Schnellläufer nach Süchteln, so musste er erst auf dem Bürgermeisteramt die Erlaubnis einholen, hier öffentlich seine Kunst im Schnell- und Dauerlaufen zeigen zu dürfen.

 Zunächst wandte sich der Schnellläufer, von den Jungens auch „Loop-Peias“ genannt, dann an den Ortsschulinspektor, um die Erlaubnis, vor der gesamten Schuljugend SĂĽchtelns seine Kunst im Schnell- und Dauerlaufen, gegen einen kleinen Obolus natĂĽrlich, zu zeigen. Die Knabenschule wie auch die Mädchenschule lagen damals am Ostwall besonders gĂĽnstig fĂĽr ein derartiges Schaulaufen, zumal der Lauf dann immer um die Wälle SĂĽchtelns ging und der Schnellläufer bei jedem Rundlauf an beiden Schulen vorbeilaufen musste. War das Schaulaufen fĂĽr die Schuljugend beendet, dann verlegte der „Peias“ seine Tätigkeit nach dem Innern der Stadt. Wohl eine Stunde lang ruhte dann jede Arbeit. Jung und alt eilten aus StraĂźen und Gassen herbei, um den „Peias“ zu sehen und wenn dieser dann nach getaner Arbeit mit der SchellenmĂĽtze in der Hand von Haus zu Haus ging, um seinen Lohn einzusammeln, dann fielen die Gaben immer reichlich aus.

 Der bekannteste Schnell- und Dauerläufer, der anfangs der achtziger Jahre des
19. Jahrhunderts mehrere Male nach Süchteln kam, war der Berliner Schnell- und Dauerläufer Fritz Käpernick. Diesem Schnellläufer wurde nachgesagt, dass er die Strecke Berlin – Süchteln innerhalb einer Woche abgelaufen habe. Fritz Käpernick war nicht nur Schnell- und Dauerläufer alltäglicher Art. Er hatte auch eine kaufmännische Ader und so prangten eines Tages „an de Lengspomp“ ( Pumpe auf dem Lindenplatz ) und an verschiedenen Straßenecken in Süchteln gedruckte Plakate des Inhalts, dass Osterdienstag 1882, nachmittags 5 Uhr, auf dem Gelände in der Nähe vom Kampshof ( später Harfhof ), in Süchtelnvorst, ein Dauerlauf zwischen Mensch und Pferd stattfinden sollte. Es herrschte helle Begeisterung im Städtchen ob dieses angekündigten sportlichen Ereignisses und Tausende strömten von nah und fern herbei, diesen tapferen Dauerläufer zu sehen.

 Was Fritz Käpernick auf seinen ausgehängten Plakaten versprochen hatte, nämlich jedes Pferd im Dauerlaufen zu schlagen, hat er gehalten und noch mehr. Er ist Osterdienstag 1882 hier in einem cirka 15 bis 20 Kilometertempo 1 ½ Stunde ohne Unterbrechung gelaufen, eine Leistung, die auch heute noch in der Sportbewegung Beachtung finden dĂĽrfte und mit dem heutigen Marathonlauf verglichen werden kann. Die Zeiten sind längst dahin und seit Jahrzehnten hat sich kein Schnellläufer mehr in SĂĽchteln gezeigt, aber die, die damals den berĂĽhmten Fritz Käpernick in SĂĽchtelnvorst gegen ein Pferd haben laufen sehen, haben noch ihren Ur-Enkeln von dieser interessanten sportlichen Begebenheit erzählt.

Der Schnellläufer Fritz Käpernick im Wettbewerb mit einem Rennpferd im Zoo Leipzig ( Illustrierte Zeitung Leipzig 1881 )

„Die Produktion der Schnellläufer, die sich für Geld sehen lassen und sich mehr durch Ausdauer als speziell durch Schnelligkeit im Laufen auszeichnen, ist in neuerer Zeit wieder mehr in Aufnahme gekommen und hier und da selbst zu einer Art Sport geworden. Unter den Schnellläufern der neuern Zeit haben sich der Norweger Mensen Ernst und der Berliner Fritz Käpernick ( gestorben 1887 ) besonders hervorgetan.“
( Meyers Konversationslexikon, Eine Encyklopädie des allgemeinen Wissens, vierte Auflage, Leipzig, 1888-1889, Band 10, Seite 558 ).

„Im 18. und 19. Jahrhundert waren es nur Einzelne, die Leistungen auf der ‚Ultralangstrecke’ vollbrachten, nämlich Schauläufer wie Peter Bajus, Mensen Ernst — von Paris nach Moskau in vierzehn Tagen — oder Fritz Käpernick, der gegen Rennpferde siegte.“ ( Stephan Oettermanns „Läufer und Vorläufer. Zu einer Kulturgeschichte des Laufsports“, 1984 ).

Ob Fritz Käpernick nun alleine in Süchteln erschien oder ob er „Mitarbeiter“ bei sich hatte, die ihm bei der Vorbereitung und Durchführung seiner Laufproduktionen, zum Beispiel bei der Herstellung und dem Anschlagen der Plakate ( unter anderem „an de Lengspomp“ ), unterstützten, teilte Michael Birkmann aus Bremen das Folgende mit:

Fritz Käpernick reiste zu dieser Zeit ( 1882 ) sicherlich nicht alleine. Zu seinem „Team“ gehörte zunächst einmal Max Käpernick, genannt das „Käpernickel“, ein Junge von 6 - 7 Jahren, mal in der Presse als kleiner Bruder, mal als Sohn erwähnt. Der kleine Bruder  ist nicht sehr wahrscheinlich, weil Käpernicks Vater schon gestorben sein soll, als Fritz erst 2 Jahre alt war. Man kann deshalb eher davon ausgehen, dass „Käpernickel“ ein Sohn des Schnellläufers gewesen ist, obwohl ĂĽber eine Mutter nichts bekannt ist. Der kleine Max trat schon in den Produktionen auf.

Zudem hatte Fritz Käpernick einen „Geschäftsführer“ ( es soll ein älterer Bruder gewesen sein ), in Wiener Zeitungen wird von einem „Impresario“ gesprochen. Außerdem sollen immer einige Berliner mitgereist sein, die dann Aufgaben innerhalb der Laufproduktionen, z.B. als Starter oder Zeitnehmer, wahrgenommen haben. Aus diesem Kreis könnte Käpernick auch mögliche Gegner rekrutiert haben, z.B. den Amerikaner „Mr. McDonald“. Von Käpernicks Tournee entlang des Rheins sind zur Zeit die folgenden Daten bekannt:
 

                                25.03. - 02.04.1882                         BONN

                                Osterdienstag, 11.04.1882             SĂśCHTELN

                                13. - 23.04.1882                              KOBLENZ

                                Ende Mai-Anfang Juni 1882          DĂśSSELDORF

                                11. - 26.06.1882                              ELBERFELD

                                12. - 13.07.1882                              MAINZ


( zur Schnelllauferei siehe auch: Herbert Bauch / Michael Birkmann, “... die sich für Geld sehen lassen...” - Über die Anfänge der Schnell- und Kunstläufe im 19. Jahrhundert,
Jonas-Verlag, Marburg 1996
sowie: Bauch/Birkmann, div. Beiträge in Runner's World 2000 – 2004 )

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