Ein eigentümliches Gerichtsurteil

Süchteln hat einmal um Buchweizen eine Gerichtsverhandlung erlebt, die wegen ihres merkwürdigen Ausgangs gewiß noch lange in der Erinnerung fortlebte. Es war am
8. September 1772, als der grundherrliche Schultheiß in Süchteln Peter Franz Junggeburth die Schöffen auf seinen Hof geladen hatte. Angeklagt war die Ehefrau Mariken Rabert mit ihren zwei Kindern, eines acht, das andere neun Jahre alt. Bei einer kurz vorher erfolgten Nachschau hatte der Gerichtsbote auf dem Söller ihres Hauses siebzehn aufgesetzte Kegel Buchweizen vorgefunden. Die Angeklagte gab an, dieser Buchweizen sei von ihren beiden Kindern „gesümmert“ worden. Als sie befragt wurde, wie es möglich sei, daß die Kleinen 17 Kegel nach Hause trügen, da sie kaum in der Lage seien, einen von der Stelle zu schaffen, antwortete sie ausweichend, daß sie das nicht sagen könne, auch nicht wüßte, wo die Kinder den Buchweizen aufgelesen oder von wem sie ihn bekommen hätten.

Im weiteren Verlauf des Verhörs erklärte der Schultheiß, es sei offensichtlich, daß die 17 Kegel einfach von den Feldern entwendet und höchstens ein paar Handvoll gesammelt worden seien, wie es den Armen zustehe. Da war es mit der bisher gezeigten Gelassenheit der Angeklagten vorbei. Sie fuhr das Gericht an, ob sie die einzige sein solle, die bestraft werde, da auch andere Buchweizen gestohlen hätten. Wenn man, wie bei ihr, eine gleiche Haussuchung bei Bersch und Irm Mattheisen gehalten hätte, würde man auch dort Buchweizen gefunden haben. Hierzu äußerte sich der Gerichtsbote, daß er dazu nicht gekommen sei, weil er inzwischen erkrankte.

Die Schuld der Angeklagten war nun hinlänglich erwiesen. Wie aber sollte man sie bestrafen? Das grundherrliche Gericht durfte keine Freiheitsstrafen verhängen, sondern zur Sühne eines Feldfrevels nur eine Geldbuße. Nach menschlichem Ermessen war es jedoch ausgeschlossen, daß Mariken Rabert bei ihrer bekannten Dürftigkeit hierzu jemals in der Lage sein würde. Nach reiflicher Überlegung wurde schließlich folgendes Urteil verkündet: „Schultheiß und Schöffen erkennen zu Recht, daß die Angeklagte und ihre beiden Kinder durch die Straßen Süchtelns auf- und abgeführt werden, nachdem ihnen der gestohlene Buchweizen auf den Rücken gebunden worden ist.“ Wie Junggeburth hinzufügte, habe man zu diesem Mittel greifen müssen, um alle abzuschrecken, die da glauben, wenn sie unvermögend seien, könnten sie sich allerlei Untaten hingeben, weil das Grundgericht nicht in der Lage sei, ihnen mit einer Geldstrafe beizukommen.

Daß es dem Schultheißen nicht etwa um eine leere Drohung zu tun war, beweist ein Schreiben, das er anschließend an den herzoglichen Vogt in Brüggen sandte, in dem er ihn bat, zum Vollzug des Urteils die notwendigen Schützen mit ihren Anführern aufbieten zu lassen. Bereits am 12. September befahl der Vogt Kannegießer, daß jeder bei der beabsichtigten Bestrafung der Mariken Rabert auf Ansuchen hilfreiche Hand zu bieten habe und sie keinesfalls hindern dürfe.

Abschließend bleibt zu vermuten, dass das verhängte Urteil auch mit aller gebotenen Härte ausgeführt wurde, denn es war zu dieser Zeit längst nicht der einzige derartige Verstoß. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts drangen nämlich revolutionäre Ideen bis nach Süchteln, die sich besonders gegen die Vorrechte des Adels und der geistlichen Grundherren richteten. Der Holzdiebstahl und die Widerspenstigkeit gegen die Urteile des Hofgerichts nahmen seit 1770 derart überhand, dass sie mit Geldstrafen nicht mehr einzudämmen waren. Der Schultheiß Peter Franz Junggeburth ordnete deshalb den Zusammenschluß der Buschbeerbten zu Einsatzgruppen an. Diese sollten den Tätern die Äxte und Beile wegnehmen, das gestohlene Holz sicherstellen und die Widerspenstigen in das grundherrliche Gefängnis zur gebührenden Bestrafung einliefern. 1782 verschärfte er seine Anordnung dahin, dass Holzdiebe in Zukunft drei Tage lang bei Wasser und Brot im Kerker zu inhaftieren und bei Wiederholung mit einer auf den Rücken gebundenen Schanze ( Reisigbündel ) durch den Flecken zu führen seien. Sollte der Täter dann nochmals rückfällig werden, wolle er ihn den landesherrlichen Beamten für Festungsarbeiten in Jülich oder zur Einweisung in das Zuchthaus überstellen. Auch diese drakonischen Maßnahmen blieben ohne Erfolg. Um diese Zeit schaffte die Abtei dann das Amt des weltlichen Schultheißen ab und ersetzte ihn durch einen Mönch, der Rentmeister genannt und 1792 zum Propst erhoben wurde.
1797 wurde das Süchtelner Hofgericht unter der französischen Besatzung geschlossen.

Der letzte „echte“ Schultheiß in Süchteln, Peter Franz Junggeburth, war verwandt mit dem Schultheißen Joh. Pet. Franz Backhuys von Grefrath, zugleich Sekretär in Lobberich, dieser wiederum mit dem Viersener Sekretär Joh. Heinr. Jac. Backhuys, ein Beweis, wie sehr die Ämter in unserer Gegend sich damals in der Hand weniger Familien befanden. Übrigens kam 1775 ein Junggeburth, Peter Michael, Jülicher Hofadvocat durch einen unglücklichen Pistolenschuß hier ums Leben und liegt in Süchteln begraben.

 Ein weiterer Junggeburth, Bartholomeus, war kurfürstlicher Hofrath und Schultheiß von Aldenhoven. Bartholomeus Junggeburth wurde am 9.3.1731 in Süchteln geboren und starb am 23.3.1774 in Aldenhoven. Dieser Süchtelner Sohn hat seinerzeit Geschichte geschrieben: Er hat ein Mitglied der bekannten Bockreiterbande, den achtzehnjährigen Joseph Keyser aus Aachen am 1.11.1770 auf dem Markt in Jülich verhaften lassen und an das Gericht in Herzogenrath überstellt. Das führte zum endgültigen Ende dieser Bande. Am 10.1.1771 hat Keyser nach peinlichen Verhören alle Namen der Führer der Bockreiter gestanden. Hart und gnadenlos setzte darauf die Arbeit der Gerichte ein, so wurden damals im benachbarten ehemaligen “oberen Maasgau” ( Overmaas ) insgesamt 328 Männer und Frauen, alles vermeintliche Bockreiter, gehängt, gerädert oder verbrannt.

SIGILLUM SCABINORUM IN SUGCHELE

SIGILLUM SCABINORUM IN SUGCHELE

Das alte Süchtelner Schöffensiegel von 1405 ging in den Kriegswirren des Jahres 1689 verloren und befindet sich heute im Archives Nationales in Paris. 1694 erhielten die Süchtelner Schöffen ein neues Siegel mit dem Abbild des St. Clemens.

Die ältesten namentlich bekannten Süchtelner Schultheißen sind Gerhard Pilatus
( 1240 – 1247 ) und Rudolph ( 1250 ). In den Akten und Urkunden begegnen uns noch folgende Namen „pantaleonischer Schultheißen“ in Süchteln: Arnold von Holtoven
[ Holchoven ] und seine Frau Kunegunde ( 1300 ), Tilman in gen Hofe
[ ghen Haue ] ( 1415 ), Heinrich in gen Hofe ( 1449 ), Wilne Synartz von Wienhorst
[ Syvart von Wyenhorst ] und Ehefrau Margareta ( 1460 – 1464 ), Matthias an dem Vorst ( Kanonikus vom Rade ) ( 1465 – 1497 ), Michael Duyckers [ Michael und  Ehefrau Fritza Duickers ] ( 1521 ), Stephan Greuter [ Gruiter ] ( 1545 - 1552 ), Peter Hages ( ? ), Wilhelm von Mühlheim ( 1565 – 1579 ), Johann Kriekenbeck
( 1582 ), Peter Mehlers ( 1592 ), Cornelissen Hoevels [ Cornelius Hövels ] ( 1605 – 1612 ), Mattheiß Raitz ( 1615 ), Johann Raitz ( 1626 – 1644 ), Petrus Scholtheißen
[ Peter Scholtesen ] ( 1644 – 1660 ), Dr. Albrecht Wilhelm Scholtesen ( 1669 – 1682 ), Gottschalk Müller ( 1692 – 1695 ), Constantin Worimans ( 1700 ), Dr. Peter Hermann May ( 1704 – 1737 ), Heinrich Sibert May ( 1737 – 1744 ),
Licentiat Peter Franz Junggeburth ( 1749 – 1782 ),
Dr. Kraft ( Amtsverwalter ) ( 1784 ), Propst Birkenbusch ( 1785 - 1793 ).

Der Süchtelner Schultheiss und die Schöffen empfangen 1462
den Abt von St. Pantaleon - (Süchtelner Notgeldschein)

In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass aufgrund einer kaiserlichen ( Karl V. ) Bedingung für die Verleihung landrechtlicher Privilegien vom 20.1.1530, Herzog Johann von Jülich-Berg-Kleve für alle Gerichte im jülicher Land am 12.6.1555 die neue „Jülicher Ordnung und Reformation des Prozesses“ bindend verkünden ließ. Die maßgebenden Bestimmung dieses neuen jülichen Landrechts wurden von dem Süchtelner Rechtsgelehrten Hubert Smetz ausgearbeitet.

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